Trotz Streit in Verbindung kommen - Geht das?
"Es sind nie die Tatsachen, die uns beunruhigen und ärgern, es sind immer unsere eigenen Bewertungen."
Marshall B. Rosenberg
Heute mag ich dir von einer Konfliktsituation erzählen, in der ich wieder überrascht war, wie sehr mir die GFK in einem Streit hilft, um mit mir und dann auch mit meinem Gegenüber in Verbindung zu kommen, so dass wieder ein wertschätzendes Miteinander spürbar ist:
Ich arbeite in geringer Teilzeit in einem Krankenhaus als MTR in Nacht- und Wochenenddiensten. Ich fahre CTs und röntge Menschen, die als Notfall zu uns kommen und radiologische Diagnostik brauchen. Bei CT Untersuchungen muss immer ein Radiologe die Untersuchung freigeben und dann auch befunden. In einigen Häusern läuft das über die sog. Teleradiologie, d.h. der Radiologe ist nicht vor Ort, sondern sitzt irgendwo in Deutschland und bekommt die Bilder über ein eigens dafür gedachtes System zugeschickt. Das funktioniert sehr gut - so meine Erfahrung. Die Radiologen sind für uns und die anfordernden Ärzte u.a. telefonisch erreichbar, um z.B. Untersuchungsablauf zu besprechen und natürlich zu prüfen, ob die CT-Untersuchung notwendig und hilfreich ist.
Ich hatte Dienst und bekam einen Patienten, der eine nicht alltägliche Untersuchung bekommen sollte. Ich telefonierte mit der Radiologin. Wir sind "aneinander geraten" und hatten einen Konflikt (der übrigens für den Patienten und die Untersuchung keine Konsequenz hatte).
In diesem Streit durfte ich mir anhören, dass ich "frech" bin und später, ob ich jetzt beleidigt bin.
Beides war aus meiner Perspektive nicht gerechtfertigt, was meine Kollegin, die gerade noch da war auch so gesehen hat.
Ich war aufgebracht und sauer, weil ich nicht so gehört wurde, wie ich es wollte. Im Gespräch selbst sagte ich ihr schon, dass ich aus meiner Sicht nicht so war und dass es nicht meine Absicht gewesen ist, dass meine Worte so bei ihr ankommen. Sie konnte es nicht hören, geschweige denn annehmen. Wahrscheinlich weil ich in dem Moment schon inneren Ärger gespürt hatte, weil ich ernst genommen werden möchte und dieses Gespräch echt anstrengend für mich war. Es blieben Bedürfnisse wie Sinnhaftigkeit, Zeit sinnvoll nutzen und respektvoller Umgang bei mir in dem Moment unerfüllt.
Nach dem Telefonat und nachdem der Patient weg war, spürte ich weiterhin Ärger in mir und auch Frustration sowie ein Unwohlsein. Ich spürte eine gewisse Traurigkeit in mir, weil es mir wichtig ist, dass meine Worte so ankommen, wie ich sie meine. In dem Fall hat das nicht geklappt. Ich sprach mit Menschen darüber, bei denen ich wusste, dass ich einfach gehört werde ohne Tipps oder ähnliches zu bekommen. Ich spüre irgendwann, dass neben diesem Ärger auch ein Gefühl des Bedauerns sich zeigte, welches meine Traurigkeit & Unwohlsein erklärte.
Ich spürte ein tiefes Bedauern, dass ich bei der Ärztin frech und beleidigt angekommen bin, weil mir diese Aussagen zeigten, dass bei ihr ebenfalls für sie wichtige Bedürfnisse wie vermutlich ernst genommen werden, respektvoller Umgang o.ä. nicht erfüllt waren. Das war in dem Moment ihre Wahrheit, egal ob ich wirklich so war oder nicht. Wirklich:
Es ist ganz gleich, was ich mit meinen Worten sage und ausdrücke. Es kann bei meinem Gegenüber anders ankommen. Je nachdem mit welchem Ohr derjenige gerade zuhört.
Als dieses Telefonat stattgefunden hat, hatten wir beide viel zu tun. Es gibt so Momente im Krankenhaus, in denen plötzlich einige Patienten auf einmal kommen und das ist teilweise herausfordernd. Wir waren beide unter Druck und wollten einfach unsere Arbeit gut machen.
Ich konnte kurz nach dem Telefonat schon spüren, dass es zwei Seiten in mir gab:
Diesen Ärger, die Frustration und gleichzeitig das Unwohlsein und eine gewisse Traurigkeit. Das freut mich, weil diese zweite Seite (Unwohlsein/Traurigkeit) die echte Verbindung zu mir ist. Das ist diese Menschlichkeit in uns, dass wir mit uns selbst und auch mit unseren Mitmenschen in Verbindung sein WOLLEN. Diese Empathie, die in uns von Geburt an da ist, die oft verkümmert ist, weil wir häufig zu sehr mit und in unserer Wut/Ärger/Frustration und somit in unseren bewertenden und verurteilenden Gedanken verharren, anstatt hin zu spüren was wir fühlen und brauchen.
Das tragisch dabei ist:
Wir verlieren nicht nur die Verbindung zu unseren Mitmenschen, sondern auch zu uns selbst.
Wut, Ärger, Scham sind Gefühle, die uns von uns wegbringen. Wir verweilen beim anderen anstatt wirklich hinzuspüren, was wir tatsächlich fühlen.
Zurück zur Situation:
Ich spürte dieses tiefe Bedauern. Nachdem ich genug von meinen anderen Gesprächspartnern gehört wurde, konnte ich das Bedauern stärker spüren. Die anderen trennenden Gefühle wichen in den Hintergrund und verblassten.
Wir haben mit den Teleradiologen auch einen Chat über den wir zusätzlich Infos schreiben und austauschen können.
Über diesen schrieb ich dann über mein Bedauern, dass es nicht meine Absicht war, dass meine Worte so ankamen, wie sie es kommuniziert hatte. Ich sagte ihr meine Gründe, warum ich so gesprochen habe und ich mir wünsche, dass wir wieder zu unserer sonst so wertschätzenden und effektive Zusammenarbeit zurückfinden.
Sie hat geantwortet:
Sie bedankte sich für meine Offen- und Ehrlichkeit. Sie sagte, dass sie das sehr schätze. Sie schrieb, dass auch bei ihr in dem Moment viel los war und wir alle das kennen, dass das dann stressig ist und man anders kommuniziert, als man vielleicht möchte. Sie freue sich wieder auf unsere konstruktive und kollegiale Zusammenarbeit.
Wow, ich war berührt und froh, weil wir unseren Konflikt auflösen konnten und wieder in Verbindung gekommen sind. Der Ärger und die Frustration waren weg. Ich spürte Menschlichkeit.
Ich spürte zudem große Dankbarkeit, denn ohne die Gewaltfreie Kommunikation von Marshall B. Rosenberg wäre dieser Streit anders ausgegangen.
Vielleicht hätte ich mich über sie beschwert oder wäre jedes Mal, wenn ich den Dienstplan und sie darauf gesehen hätte, genervt gewesen: "Nicht schon wieder". Es wäre etwas geblieben. Vielleicht hätte auch sie sich beschwert und wir hätten schwer zu unserer früheren guten Zusammenarbeit zurückgefunden. Natürlich sind das alles Vermutungen. Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass ich erstmal in meinem Ärger geblieben und nicht in Verbindung zu mir selbst gekommen wäre. Das wäre doch traurig bzw. schade gewesen, oder? Vor allem wenn man sieht, wie anders es sein kann.
Die GFK ist nicht nur ein Kommunikations-Tool.
Sie ist eine Möglichkeit sich seiner selbst bewusst zu werden. Wirklich zu spüren, wie es mir geht, wie ich mich fühle, was ich brauche und was mein Gegenüber vielleicht braucht.
Sie ist eine Möglichkeit zu unserem wohlwollenden und empathischen Wesen (zurück zu)finden,
so wie wir auf die Welt gekommen sind.
Wir sind empathisches Wesen, die in Verbindung sind mit all den Wesen auf diesem Planeten.
Ich grüße dich herzlich
Silvia
